Freitag, 22. April 2016

Alfred Brehm: Unter Arabern

"Einer von ihnen nähert sich dem Zelte und tritt mit der Würde eines Königs
hinein. Es ist das Oberhaupt der Kameltreiber, der Scheich el Djemali, dem
wir, die Reisenden, Botschaft sandten, um uns durch seine Hilfe mit Führern,
Treibern und Kamelen zu versehen.
"Heil mit euch", sagt er beim Eintreten und grüßen legt er die Hand auf
Mund, Stirn und Herz.
"Heil mit dir, o Scheich, die Gnade Gottes und sein Segen", ist unsere
Antwort.
"Groß war mein Sehnen, o Fremdlinge, eure Wünsche zu vernehmen", versichert er, nachdem er sich auf dem Polster zu unserer Rechten, dem Ehrenplatze,  niedergelassen.
"Möge Gott, der Erhabene, dein Sehnen vergelten, o Scheich, und dich
segnen", erwidern wir seine Rede und befehlen unseren Dienern, ihm frisch
angezündete Pfeifen und Kaffee zu reichen.
Halbgeschlossenen Auges labt er seinen sterblichen Leib durch den Trank,
seine unsterbliche Seele durch die Pfeife; in dichte Wolken hüllt er sein
Haupt. Fast lautlose Stille herrscht im Zelte, das der Wohlgeruch des
köstlichen Djebelitabaks durchduftet, bis wir endlich die Verhandlungen
glauben beginnen zu dürfen.
"Wie ist dein Befinden, o Scheich?"
"Der Spender alles Guten sei gepriesen. Wohl, dir zu dienen. Und wie steht
es um deine Gesundheit?"
"Dem Herrn der Welt sei Ruhm und Ehre; ich befinde mich ganz wohl. Groß war unser Sehnen, dich zu sehen, o Scheich!"
"Möge Gott, der Erbarmende, euer Sehnen vergelten! Ist euer Befinden
zufriedenstellend?"
"Allah und sein Prophet, Gottes Gnade über ihn, seien gepriesen."
"Amen. Es sei, wie du gesagt hast."
Neue Pfeifen erquicken die unsterbliche Seele; neue, fast endlose
Höflichkeitsbezeigungen werden ausgetauscht.
"O Scheich, ich will mit des Allerbarmenden Hilfe diese Wüstenstrecke
durchreisen."
"Möge Allah dir Geleit geben."
"Bist du im Besitz von Treibern und Lastkamelen?"
"Ich bin's."
"Wie viele Kamele kannst du mir stellen?"
Statt einer Antwort auf die Frage entquellen nur Rauchwolken dem Munde des
Scheich, und erst nach Wiederholung unserer Worte legt er für einige
Augenblicke die Pfeife zur Seite und sagt würdevoll: "Herr, die Anzahl der
Kamele der Beni Said kennt nur Allah; ein Sohn Adams hat sie noch nie
gezählt."
"Nun wohl, so sende mir 25 Tiere, darunter 6 Traber. Außerdem bedarf ich
zehn großer Schläuche."
"Der Scheich raucht von neuem, ohne zu reden.
"Wirst du sie mir senden?"
"Ich werde es tun, um dir zu dienen. Allein die Besitzer stellen hohe Preise."
"Und welche?"
"Mindestens das Vierfache der üblichen Löhne und Mieten."
"Erschließe dich Allah, der Erhabene, Scheich! Das sind Forderungen, die
niemand bewilligen wird. Preise den Propheten!"
"Gott, der Allerhaltende, sei gepriesen und sein Gesandter gesegnet! Du
irrst, mein Freund. Der Kaufmann, der dort oben lagert, bot mir das Doppelte
von dem, was ich verlange. Nur meine Freundschaft zu dir ließ mich so
geringe Forderung stellen."
Vergeblich scheint alles Feilschen. Frische Pfeifen werde gebracht und
geraucht, neue Höflichkeitsbezeigungen ausgetauscht, der Name Allahs und
seines Propheten gemißbraucht, Wohl und Befinden gegenseitig auf das
genaueste festgestellt, bis endlich die erlernte Sitte der angeborenen
weicht und der Abendländer die Geduld verliert."
„So wisse, Scheich, ich bin im Besitz eines Geleitbriefes des Khediven und
eines vom Scheich Soliman. Hier sind sie. Was forderst du jetzt noch?"
"Herr, wenn du einen Geleitbrief Seiner Herrlichkeit besitzest, warum
forderst du nicht das Haupt deines Sklaven? Er steht dir zu Diensten. Deine
Wünsche nehme ich auf mein Haupt. Du befiehlst, dein Sklave gehorcht. Die
Preise der Regierung kennst du. Das Heil Allahs über dir! Morgen sende ich
dir Männer, Tiere und Schläuche."
Nicht am anderen Morgen, wie versprochen, erscheinen die Treiber und Tiere,
sondern erst in den Nachmittagsstunden finden sie sich ein, und nicht am
nächsten Morgen, sondern frühestens um die Zeit des Nachmittagsgebetes des
folgenden Tages kann an Aufbruch gedacht werden. "Bukra inschallah - morgen,
so Gott will", ist die Losung; sie widersteht jedem Machtgebot. In der Tat,
es gibt noch viel zu tun, bevor die Reise angetreten werden kann.
Um das Zelt entwickelt sich ein lebendiges Bild. Zwischen den Gepäckstücken
bewegt sich die Schar der Söhne der Wüste. Wenig fördernde Geschäftigkeit,
aber unglaubliches Gelärme bezeichnet ihr Treiben. Die wallartig geordneten
Gepäckstücke werden auseinandergezerrt, gewogen, mit andern verglichen,
ausgewählt und verworfen, zusammengeschleppt und wieder getrennt. Jeder
Treiber versucht den andern zu überlisten, jeder für seine Tiere die
leichteste Ladung zu gewinnen, und jeder stößt daher auf Widerspruch. Alle
lärmen und toben, schreien und schelten, schwören und fluchen, bitten,
verwünschen. In Erwartung des Kommenden helfen gewöhnlich auch die Kamele
getreulich mit, den Lärm zu verstärken; und wenn sie wirklich, statt zu
brüllen, einmal schweigen sollten, so ist ihre Zeit nur noch nicht gekommen.
Aber sie kommt! Ob mit oder ohne Kamelbegleitung, das Ohr des Abendländers
wird förmlich gemartert durch alle die verschiedenen Stimmen, die sich ihm
gleichzeitig aufdrängen. Lange Stunden währt das Gewirr und Getöse; und wenn
man sich endlich zur Genüge gezankt hat, so ist erst das Vorspiel zu
Ende." -