Dr. Lautwein
Dr. Thomas Lautwein. Aus dem Antiquariat.
Donnerstag, 3. Juli 2025
Mittwoch, 23. April 2025
Von Brück: Wie wir Mensch werden, Anthropologie für die Zukunft
Michael von Brück: Wie wir Mensch werden. Anthropologie für die Zukunft. Freiburg im Breisgau: Herder 2025. 978-3- 451-03511-1. € 32,00.
Was ist der Mensch? Diese Frage versucht die Anthropologie, die Wissenschaft vom Menschen, zu beantworten. Dabei bewegt sie sich im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften und betätigt sich sowohl als biologische wie als Kulturanthropologie oder philosophische Anthropologie.
Der Religionswissenschaftler Michael von Brück hat sich nun nichts weniger vorgenommen, als verschiedene Fachgebiete zu einer modernen Anthropologie zu verknüpfen, Brücken zwischen Wissen und Glauben zu schlagen und eine Inspirationsquelle für die Sinnfindung zu liefern.
Anknüpfend an C.F. Von Weizsäcker versucht von Brück, sowohl eine Brücke zwischen Natur- und Geisteswissenschaften als auch zwischen Ost und West zu schlagen. Unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse aus der Kognitionsforschung ventiliert der Autor in sechs Kapiteln so grundlegende Themen wie die Natur des Bewusstseins, die Frage nach der Wahrheit, Kosmologie, Freiheit, Ethik und dem Sinn des Lebens.
Das erste Kapitel ist wohl das anspruchvollste. Es zeigt eindrucksvoll auf, dass sich die aktuelle Forschung zunehmend von materialistisch-reduktionistischen Modellen wegbewegt; Bewusstsein ist mehr als Hirnaktivität; Leib und Seele bilden ein Kontinuum, non-duale, „mystische“ Erfahrungen sind mehr als bloße Regression. Das buddhistische Modell der 5 Skandhas steht dazu nicht im Widerspruch.
Im zweiten Kapitel diskutiert von Brück, was Wissen eigentlich leistet und inwiefern überhaupt ein Anspruch auf Wahrheit erhoben werden kann. Er kommt zu dem Schluss, dass man wie im Buddhismus zwischen einer konventionellen (quantitativen) und eine absoluten (qualitativen) Wahrheit unterscheiden muss. Die Diskussion der verschiedenen Schöpfungsmythen in Kap. 3 ergibt, dass Buddhismus und Hinduismus im Dialog mit der Evolutionstheorie gegenüber Monotheisten einen gewissen Vorteil haben. Der Autor bezieht sich hierbei zu Recht auf die 12 Glieder des abhängigen Entstehens, hätte aber noch das Aggaññasutta (DN 27) erwähnen können. Kapitel 4 rechtfertigt den Begriff der Freiheit: „Freiheit und relative Bindung treten zugleich auf, sie bedingen einander und ermöglichen so das kreative Universum. Und die kreative Lebensgestaltung jedes einzelnen Menschenlebens“ (S. 232). Das Böse ist demnach „die Blockade des Lebendigen und die Missachtung wechselseitiger Abhängigkeiten.“ Der buddhistische Karma-Begriff widerspricht dem nicht.
Auch beiden letzten Kapitel über Liebe und Sterben enthalten bedenkenswerte Einsichten und münden in der Anregung, eine neue ars moriendi (Kunst des Sterbens) zu entwickeln. Hier wird das persönliche Engagement des Autors spürbar.
Das Buch ist für alle empfehlenswert, die bereit sind, sich auf teilweise anspruchsvolle philosophische Überlegungen einzulassen. Es wäre sicherlich auch eine Hilfe im interreligiösen Dialog.
Sonntag, 6. April 2025
Erleuchtung. Jetzt auch als E-Book.
Almut-Barbara Renger: Erleuchtung. Kultur- und Religionsgeschichte eines Begriffs. Freiburg im Breisgau: Herder 2016. 978-451-34188-5. € 149,00; E-Book: € 34,99, ISBN 978-3-451-80971-2
Wir wissen nicht, was den heiligen Hieronymus bewogen hat, den Anfang von Psalm 27 mit „Dominus illuminatio mea – der Herr ist meine Erleuchtung“ zu übersetzen; im Tanach steht eigentlich nur „Der Herr ist mein Licht“ (yahweh owri weyishi) – womöglich folgte er der griechischen Septuaginta, die „photismos“ hat, was in der Tat „Beleuchtung, Erhellung“ heißen kann.
Der Begriff „Erleuchtung“ dient seitdem, von Augustinus bis Rudolf Steiner, zur Bezeichnung von allerlei übersinnlichen, mystischen Erfahrungen. Das Unglück begann, als Gelehrte wie Max Müller und Theosophinnen (Blavatsky) den Begriff benutzten, um buddhistische Begriffe wie bodhi, vimutti, satori zu übersetzen.
Seitdem ist „Erleuchtung“, wie Renger in der Einleitung des vorliegenden Sammelbandes erläutert, ein „Hybridprodukt und transkultureller Sammelbegriff“ geworden, der von einem ursprünglich neuplatonisch-christlich geprägtem Begriff zu einem „wirkmächtigen Terminus der religiösen Selbstbeschreibung innerhalb eines globalen Diskurses geworden ist“ (S. 22) Damit einher geht eine Kommerzialisierung des Begriffs, die seit den 1990er Jahren ungeahnte Ausmaße erreicht hat.
Der Religionswissenschaft stellt sich somit die Frage, ob es tatsächlich eine universelle spirituelle Erfahrung von „Erleuchtung“ gibt, oder ob „die generalisierende Anwendung des europäischen Terminus auf denkbar unterschiedliche Erkenntnistheorien und Heilswege zu kurz greift“ (S. 31). Dieser Frage gingen die Vorträge einer interdisziplinären Veranstaltungsreihe nach, die 2012/13 an der FU Berlin stattfand; aus ihr ging der zu besprechende Sammelband hervor.
Die ersten beiden Sektionen befassen sich mit der westlichen Tradition des Erleuchtungsbegriffs bis hin zu Ken Wilber. Sektion 3 und 4 behandeln Islam, jüdische Kabbala und die östlichen Religionen.
Speziell mit dem Buddhismus befassen sich zwei Beiträge von Katja Triplett (Wissen und Wunder: „Erleuchtung“ und das Bild des asiatischen Buddhismus im 19. und 20. Jahrhundert) und Hans Julius Schneider (Empirische Metaphysik? Sprachphilosophische Nachfragen zur Interpretation buddhistischer „Erleuchtungserfahrungen“). Tripletts Abhandlung ist im Wesentlichen ein nützlicher Überblick über die Geschichte der westlichen Buddhismus-Rezeption zwischen 1840 und 1940. Es wird deutlich, dass die Vorurteile und Prägungen der Beteiligten in Ost und West zu Einseitigkeiten und Verzerrungen führten.
Schneider stellt hingegen die berechtigte Frage, was denn eigentlich das „höhere Wissen“ sein soll, das der Buddha bei seinem Erwachen erlangt hat, und ob dieses sprachlich mitteilbar ist. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass die Stufe der religiösen Erfahrung erst dann erlangt sei, wenn aus meditativen Erlebnissen eine „Haltung“, eine „nachhaltige Sicht auf das Leben“ (S. 175) geworden sei, die so weit ausstrahlt, „dass mit Bezug auf das Ganze des betreffenden Lebens von einer Minderung des Leidens gesprochen werden kann“ (176). Das ist sicher richtig.
Als Kritik könnte man äußern: hier reden westliche Akademiker über westliche Forschung über Buddhismus, aber nicht mit Buddhisten. Die Komplexität der buddhistischen Lehrmeinungen zum Thema „bodhi“ wird nur angedeutet (bei Triplett S. 384 ff.), die tibetischen Traditionen und das Vajrayana werden nicht behandelt. Aber immerhin ist das Buch eine gute Quelle über den derzeitigen Stand der Religionswissenschaft. Dass „Erleuchtung“ im Buddhismus wohl nicht ganz dasselbe meint wie in anderen spirituellen Traditionen, lässt sich hier verifizieren.
Für Leser, die mit der akademischen Schreibweise Probleme haben, ist das Buch nicht empfehlenswert. Sie mögen sich damit trösten, dass die endlose Vermehrung des diskursiven Denkens vom Buddha sogar als Hindernis bezeichnet wurde. „Erleuchtung“ ist seiner Meinung nach niş-prapañca, die Abwesenheit von endlosem Theoretisieren(tib.: spros pa). Siehe Dhammapada 254.