Almut-Barbara Renger: Erleuchtung. Kultur- und Religionsgeschichte eines Begriffs. Freiburg im Breisgau: Herder 2016. 978-451-34188-5. € 149,00; E-Book: € 34,99, ISBN 978-3-451-80971-2
Wir wissen nicht, was den heiligen Hieronymus bewogen hat, den Anfang von Psalm 27 mit „Dominus illuminatio mea – der Herr ist meine Erleuchtung“ zu übersetzen; im Tanach steht eigentlich nur „Der Herr ist mein Licht“ (yahweh owri weyishi) – womöglich folgte er der griechischen Septuaginta, die „photismos“ hat, was in der Tat „Beleuchtung, Erhellung“ heißen kann.
Der Begriff „Erleuchtung“ dient seitdem, von Augustinus bis Rudolf Steiner, zur Bezeichnung von allerlei übersinnlichen, mystischen Erfahrungen. Das Unglück begann, als Gelehrte wie Max Müller und Theosophinnen (Blavatsky) den Begriff benutzten, um buddhistische Begriffe wie bodhi, vimutti, satori zu übersetzen.
Seitdem ist „Erleuchtung“, wie Renger in der Einleitung des vorliegenden Sammelbandes erläutert, ein „Hybridprodukt und transkultureller Sammelbegriff“ geworden, der von einem ursprünglich neuplatonisch-christlich geprägtem Begriff zu einem „wirkmächtigen Terminus der religiösen Selbstbeschreibung innerhalb eines globalen Diskurses geworden ist“ (S. 22) Damit einher geht eine Kommerzialisierung des Begriffs, die seit den 1990er Jahren ungeahnte Ausmaße erreicht hat.
Der Religionswissenschaft stellt sich somit die Frage, ob es tatsächlich eine universelle spirituelle Erfahrung von „Erleuchtung“ gibt, oder ob „die generalisierende Anwendung des europäischen Terminus auf denkbar unterschiedliche Erkenntnistheorien und Heilswege zu kurz greift“ (S. 31). Dieser Frage gingen die Vorträge einer interdisziplinären Veranstaltungsreihe nach, die 2012/13 an der FU Berlin stattfand; aus ihr ging der zu besprechende Sammelband hervor.
Die ersten beiden Sektionen befassen sich mit der westlichen Tradition des Erleuchtungsbegriffs bis hin zu Ken Wilber. Sektion 3 und 4 behandeln Islam, jüdische Kabbala und die östlichen Religionen.
Speziell mit dem Buddhismus befassen sich zwei Beiträge von Katja Triplett (Wissen und Wunder: „Erleuchtung“ und das Bild des asiatischen Buddhismus im 19. und 20. Jahrhundert) und Hans Julius Schneider (Empirische Metaphysik? Sprachphilosophische Nachfragen zur Interpretation buddhistischer „Erleuchtungserfahrungen“). Tripletts Abhandlung ist im Wesentlichen ein nützlicher Überblick über die Geschichte der westlichen Buddhismus-Rezeption zwischen 1840 und 1940. Es wird deutlich, dass die Vorurteile und Prägungen der Beteiligten in Ost und West zu Einseitigkeiten und Verzerrungen führten.
Schneider stellt hingegen die berechtigte Frage, was denn eigentlich das „höhere Wissen“ sein soll, das der Buddha bei seinem Erwachen erlangt hat, und ob dieses sprachlich mitteilbar ist. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass die Stufe der religiösen Erfahrung erst dann erlangt sei, wenn aus meditativen Erlebnissen eine „Haltung“, eine „nachhaltige Sicht auf das Leben“ (S. 175) geworden sei, die so weit ausstrahlt, „dass mit Bezug auf das Ganze des betreffenden Lebens von einer Minderung des Leidens gesprochen werden kann“ (176). Das ist sicher richtig.
Als Kritik könnte man äußern: hier reden westliche Akademiker über westliche Forschung über Buddhismus, aber nicht mit Buddhisten. Die Komplexität der buddhistischen Lehrmeinungen zum Thema „bodhi“ wird nur angedeutet (bei Triplett S. 384 ff.), die tibetischen Traditionen und das Vajrayana werden nicht behandelt. Aber immerhin ist das Buch eine gute Quelle über den derzeitigen Stand der Religionswissenschaft. Dass „Erleuchtung“ im Buddhismus wohl nicht ganz dasselbe meint wie in anderen spirituellen Traditionen, lässt sich hier verifizieren.
Für Leser, die mit der akademischen Schreibweise Probleme haben, ist das Buch nicht empfehlenswert. Sie mögen sich damit trösten, dass die endlose Vermehrung des diskursiven Denkens vom Buddha sogar als Hindernis bezeichnet wurde. „Erleuchtung“ ist seiner Meinung nach niş-prapañca, die Abwesenheit von endlosem Theoretisieren(tib.: spros pa). Siehe Dhammapada 254.