Sonntag, 11. Dezember 2016

Quatschkopf Martin Luther

Da erzählte ich, Veit Dietrich, von dem Unwetter, das in diesem Jahre 1533 um den 18. Februar in Nürnberg war. Es ist um Mitternacht entstanden und hat so gewütet, daß es im Stadtwald dieser meiner Vaterstadt etwa 40.000 Bäume umgebrochen und das Dach der Burg fast zur Hälfte abgedeckt hat. Es ist nämlich ein gewaltiger Sturm losgebrochen und ein Durcheinander von Blitz und Donner, daß die Menschen den Jüngsten Tag gekommen glaubten.-

Der Doktor erwiderte: Es ist der Teufel, der solche Unwetter erregt. Dagegen werden die guten Winde von den guten Engeln gemacht. Die Winde sind nichts anderes als Geister, entweder gute oder böse. Der Teufel sitzt und faucht; so auch die Engel, wenn heilsame Winde wehen.

(Buchwald, Luther im Gespräch, S. 110; Tischgespräche I 489)

Freitag, 9. Dezember 2016

Wilhelm Hauff: Phantasien im Bremer Ratskeller, illustriert von Alfred Kubin 1914


Meines Erachtens ist es keine üble Gewohnheit, die ich von meinem Großvater angenommen, nämlich hie und da Einschnitte zu machen in den Baum des Jahres und sinnend dabei zu verweilen. Wenn der Mensch nur Neujahr und Ostern, nur Christfest und Pfingsten feiert, so kommen ihm endlich diese Ruhepunkte in der Geschichte seines Lebens so alltäglich vor, daß er darüber hinweggleitet ohne Erinnerung. Und doch ist es gut, wenn die Seele, sonst immer nach außen gerichtet, auch ein paarmal auf ein paar Stunden einkehrt im eigenen Gasthof ihrer Brust, sich bewirtet an der langen Table d'hôte der Erinnerung und nachher gewissenhaft die Rechnung ad notam schreibt, wie Frau Hurtig dem Ritter. Der Großvater nannte solche Tage seine Schalttage; nicht daß er etwa ein Bankett veranstaltet mit seinen Freunden, oder den Tag lustig und in Freuden lebte, in Saus und Braus; nein, er kehrte ein bei sich, und seine Seele schmauste in der Kammer, die sie seit fünfundsiebzig Jahren kannte. Noch jetzt, da er längst im kühlen Friedhof ruht, noch jetzt kann ich es seinem holländischen Horaz ansehen, welche Stellen er an solchen Tagen gelesen; noch jetzt, als wäre es gestern geschehen, sehe ich sein großes blaues Auge sinnend auf den vergilbten Blättern seines Stammbuchs weilen; und wie deutlich sehe ich, wie dieses Auge nach und nach sich füllt, wie eine Träne in den grauen Wimpern zittert, wie der gebietende Mund sich zusammenpreßt, wie der alte Herr langsam und zögernd die Feder ergreift und »einem seiner Brüder, der geschieden«, das schwarze Kreuz unter den Namen malt.
»Der Herr hält seinen Schalttag«, pflegten die Diener uns zuzuwispern, wenn wir Enkel laut und fröhlich wie gewöhnlich die Treppe hinanstürmten; »der Großvater hält seinen Schalttag«, flüsterten wir uns zu und glaubten nicht anders, als er beschere sich selbst den heiligen Christ, weil er ja doch niemand habe, der ihm den Christbaum anzünde. Und war es nicht so, wie wir in kindlicher Einfalt glaubten? Zündete er nicht den Christbaum seiner Erinnerung an, flammten nicht tausend flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsstunden eines langen Lebens, und schien er nicht, wenn er am Abend des Schalttages still und ruhig im Sessel saß, sich kindlich zu freuen an den Gaben der Vergangenheit?
Es war sein Schalttag wieder eingetreten, als sie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen, als ich dachte, daß der alte Mann seit langer Zeit zum erstenmal wieder in die freie Luft komme. Sie führten ihn den Weg, auf dem ich so oft an seiner Seite gegangen war. Aber nicht lange, so bogen sie über die schwarze Brücke und legten ihn tief in die Erde. »Nun hält er seinen rechten Schalttag«, dachte ich, »aber wundern soll es mich doch, wie der alte Herr wieder da heraufkommen will, denn sie haben doch viele Steine und Rasen auf ihn hinabgeworfen.« Er kam nicht wieder. Aber sein Bild blieb in meinem Gedächtnis, und als ich herangewachsen war, gehörte es zu meinen liebsten Beschäftigungen, seine feine, offene Stirne, das klare Auge, den gebietenden und doch so freundlichen Mund mir vorzumalen. Mit seinem Bilde stiegen tausend Erinnerungen auf, und seine Schalttage waren mir die Lieblingsstücke in der langen Bildergalerie.


Donnerstag, 21. Juli 2016

"Ich steige und säubere mich" - sieben und vierzigstes Sinnbild



Hier siehet man eine Rakete an einen Stecken oder Stab gebunden, welche angezündet und etwas in die Höhe gestossen, in der Luft je länger, je höher steiget, und sich von dem, womit sie angefüllet ist, säubert, bis sie ganz ausgebrannt ist; hiermit wird abgebildet, wie Gott einen Christen durch das Feuer des Kreuzes zum Steigen tüchtig machet, und dahin bringet, daß er mit seinem Herzen und Sinn immer höher hinan zu dem Himmlischen und Ewigen steiget, und zugleich von der Welt- und Eigenliebe, und allen andern irdischen Dingen, die ihn in seinem Christenthum bisher noch aufgeahlten, je länger je besser gesäubert und gereiniget wird.
Siehe Jer. 31,3 Off. 3,19.

(Des hocherleuchteten Lehrers Herrn Johann Arndts Sechs Bücher vom Wahren Christenthum, Philadelphia 1834)

Montag, 20. Juni 2016

Sonntag, 12. Juni 2016

Angriff der Bundestruppen auf das Predigerthor in Freiburg am 24. April 1849

Die Stadt wurde rasch und stark verbarrikadiert. Am Sonntag, den 23. April, ließ General Hoffmann den Freiburger Republikanern bekannt geben, wenn in zwei Stunden die Stadt nicht geräumt sei, so werde er sie mit Sturm angreifen. Die Gemeindebehörden von Freiburg bewogen den General, bis Montag zu warten; sie hofften bis dahin die Freischaaren zum Abzuge zu bewegen. Es entfernten sich auch viele derselben, allein die Barrikaden blieben dennoch besetzt. 
Sigel ging nach Horben ins Gebirge zurück und sammelte hier mit Mögling noch einmal etwa 600 Mann, mit denen er am 24. April wiederum das verzweifelte Wagniß unternahm, den Freiburgern Hülfe zu bringen. Aber er kam zu spät; die von den Märschen erschöpften Freischaaren hatten erst einige Stunden rasten müssen. General Hoffmann hatte am Vormittag schon Freiburg von allen Seiten mit Sturm angegriffen. Der Kampf war ein äußerst hartnäckiger; die Barrikaden am Predigerthor und am Zähringerthor wurden mit vieler Tapferkeit vertheidigt, obschon die Republikaner nicht über 300 Gewehre hatten. Zwölf Schützen und achtzehn Sensenmänner mit einer Kanone hielten die große Barrikade in der Jesuitengasse zwei Stunden gegen 1500 Nassauer; die große Barrikade am Breisacherthor, von 2000 Hessen und Nassauern mit zwei Geschützen angegriffen, konnte erst genommen werden, als die Vertheidiger sich im Rücken bedroht wußten. Die Angreifer drangen durch das Predigerthor in die Stadt. Viele Republikaner retteten sich über den Schloßberg, der nicht besetzt war; eine große Zahl wurde gefangen und von den Soldaten, namentlich von den Hessen, schwer mißhandelt. Die "guten Bürger" machten die Angeber.
Siegel drang mit Mögling heran, als der Widerstand eben am Erlöschen war. Auf der Dreisambrücke fiel der Fähnrich der Konstanzer Schützen. Sigel und Mögling gelangten an das Schwabenthor, wurden aber von den Truppen, die soeben die Barrikade besetzt hatten, mit einer Salve begrüßt, die ihre Mannschaft zurücktrieb. Von dieser abgeschnitten, kletterten die beiden Führer an einer unbesetzten Stelle über die Stadtmauer, erlebten in der Stadt allerlei Abenteuer und verließen sie wieder. Die Freischaaren verliefen sich gänzlich. Die Führer retteten sich über den Rhein nach dem Elsaß oder in die Schweiz. 





Wilhelm Blos: Die Deutsche Revolution von 1848 und 1849, Stuttgart 1892, S. 200



Freitag, 22. April 2016

Alfred Brehm: Unter Arabern

"Einer von ihnen nähert sich dem Zelte und tritt mit der Würde eines Königs
hinein. Es ist das Oberhaupt der Kameltreiber, der Scheich el Djemali, dem
wir, die Reisenden, Botschaft sandten, um uns durch seine Hilfe mit Führern,
Treibern und Kamelen zu versehen.
"Heil mit euch", sagt er beim Eintreten und grüßen legt er die Hand auf
Mund, Stirn und Herz.
"Heil mit dir, o Scheich, die Gnade Gottes und sein Segen", ist unsere
Antwort.
"Groß war mein Sehnen, o Fremdlinge, eure Wünsche zu vernehmen", versichert er, nachdem er sich auf dem Polster zu unserer Rechten, dem Ehrenplatze,  niedergelassen.
"Möge Gott, der Erhabene, dein Sehnen vergelten, o Scheich, und dich
segnen", erwidern wir seine Rede und befehlen unseren Dienern, ihm frisch
angezündete Pfeifen und Kaffee zu reichen.
Halbgeschlossenen Auges labt er seinen sterblichen Leib durch den Trank,
seine unsterbliche Seele durch die Pfeife; in dichte Wolken hüllt er sein
Haupt. Fast lautlose Stille herrscht im Zelte, das der Wohlgeruch des
köstlichen Djebelitabaks durchduftet, bis wir endlich die Verhandlungen
glauben beginnen zu dürfen.
"Wie ist dein Befinden, o Scheich?"
"Der Spender alles Guten sei gepriesen. Wohl, dir zu dienen. Und wie steht
es um deine Gesundheit?"
"Dem Herrn der Welt sei Ruhm und Ehre; ich befinde mich ganz wohl. Groß war unser Sehnen, dich zu sehen, o Scheich!"
"Möge Gott, der Erbarmende, euer Sehnen vergelten! Ist euer Befinden
zufriedenstellend?"
"Allah und sein Prophet, Gottes Gnade über ihn, seien gepriesen."
"Amen. Es sei, wie du gesagt hast."
Neue Pfeifen erquicken die unsterbliche Seele; neue, fast endlose
Höflichkeitsbezeigungen werden ausgetauscht.
"O Scheich, ich will mit des Allerbarmenden Hilfe diese Wüstenstrecke
durchreisen."
"Möge Allah dir Geleit geben."
"Bist du im Besitz von Treibern und Lastkamelen?"
"Ich bin's."
"Wie viele Kamele kannst du mir stellen?"
Statt einer Antwort auf die Frage entquellen nur Rauchwolken dem Munde des
Scheich, und erst nach Wiederholung unserer Worte legt er für einige
Augenblicke die Pfeife zur Seite und sagt würdevoll: "Herr, die Anzahl der
Kamele der Beni Said kennt nur Allah; ein Sohn Adams hat sie noch nie
gezählt."
"Nun wohl, so sende mir 25 Tiere, darunter 6 Traber. Außerdem bedarf ich
zehn großer Schläuche."
"Der Scheich raucht von neuem, ohne zu reden.
"Wirst du sie mir senden?"
"Ich werde es tun, um dir zu dienen. Allein die Besitzer stellen hohe Preise."
"Und welche?"
"Mindestens das Vierfache der üblichen Löhne und Mieten."
"Erschließe dich Allah, der Erhabene, Scheich! Das sind Forderungen, die
niemand bewilligen wird. Preise den Propheten!"
"Gott, der Allerhaltende, sei gepriesen und sein Gesandter gesegnet! Du
irrst, mein Freund. Der Kaufmann, der dort oben lagert, bot mir das Doppelte
von dem, was ich verlange. Nur meine Freundschaft zu dir ließ mich so
geringe Forderung stellen."
Vergeblich scheint alles Feilschen. Frische Pfeifen werde gebracht und
geraucht, neue Höflichkeitsbezeigungen ausgetauscht, der Name Allahs und
seines Propheten gemißbraucht, Wohl und Befinden gegenseitig auf das
genaueste festgestellt, bis endlich die erlernte Sitte der angeborenen
weicht und der Abendländer die Geduld verliert."
„So wisse, Scheich, ich bin im Besitz eines Geleitbriefes des Khediven und
eines vom Scheich Soliman. Hier sind sie. Was forderst du jetzt noch?"
"Herr, wenn du einen Geleitbrief Seiner Herrlichkeit besitzest, warum
forderst du nicht das Haupt deines Sklaven? Er steht dir zu Diensten. Deine
Wünsche nehme ich auf mein Haupt. Du befiehlst, dein Sklave gehorcht. Die
Preise der Regierung kennst du. Das Heil Allahs über dir! Morgen sende ich
dir Männer, Tiere und Schläuche."
Nicht am anderen Morgen, wie versprochen, erscheinen die Treiber und Tiere,
sondern erst in den Nachmittagsstunden finden sie sich ein, und nicht am
nächsten Morgen, sondern frühestens um die Zeit des Nachmittagsgebetes des
folgenden Tages kann an Aufbruch gedacht werden. "Bukra inschallah - morgen,
so Gott will", ist die Losung; sie widersteht jedem Machtgebot. In der Tat,
es gibt noch viel zu tun, bevor die Reise angetreten werden kann.
Um das Zelt entwickelt sich ein lebendiges Bild. Zwischen den Gepäckstücken
bewegt sich die Schar der Söhne der Wüste. Wenig fördernde Geschäftigkeit,
aber unglaubliches Gelärme bezeichnet ihr Treiben. Die wallartig geordneten
Gepäckstücke werden auseinandergezerrt, gewogen, mit andern verglichen,
ausgewählt und verworfen, zusammengeschleppt und wieder getrennt. Jeder
Treiber versucht den andern zu überlisten, jeder für seine Tiere die
leichteste Ladung zu gewinnen, und jeder stößt daher auf Widerspruch. Alle
lärmen und toben, schreien und schelten, schwören und fluchen, bitten,
verwünschen. In Erwartung des Kommenden helfen gewöhnlich auch die Kamele
getreulich mit, den Lärm zu verstärken; und wenn sie wirklich, statt zu
brüllen, einmal schweigen sollten, so ist ihre Zeit nur noch nicht gekommen.
Aber sie kommt! Ob mit oder ohne Kamelbegleitung, das Ohr des Abendländers
wird förmlich gemartert durch alle die verschiedenen Stimmen, die sich ihm
gleichzeitig aufdrängen. Lange Stunden währt das Gewirr und Getöse; und wenn
man sich endlich zur Genüge gezankt hat, so ist erst das Vorspiel zu
Ende." -